Freitag, 3. Oktober 2008

Zorn

[Auszug aus einem noch namenlosen Buchskript]

Irgendetwas hat es geweckt, irgendetwas war fatal und hat dem Monster Leben eingehaucht, das nun den langen und erschwerlich Weg aus dem tiefsten Inneren des Bewusstsein mit Leichtigkeit hinter sich bringt. Und es scheint immer schneller zu werden, kaum zu bremsen, unaufhaltsam. Wenn es vorne ankommt, nimmt es jeden Zentimeter in Anspruch, verdrängt Vernunft und sogar auch die Warmherzigkeit, die sonst das Reich der Emotionen beherrscht, und zwingt jede Faser des Körpers in seine Gewalt. Es wendet jeden echten und unechten Bipol wider jedem physikalischen Gesetz mit der negativen Dolchspitze voran gen Haut, läßt sie warm werden, läßt sie heiß werden. Scharfer Husky, die Dosis Morphium im Lebenssaft Blut vermag nicht die Klarheit aus dem Kopf schießen, der Schmerz ist trotzdem zu spüren, läßt den Magen mehrmals um sich selbst drehen, erzeugt eine Übelkeit, die das Atmen zur Qual werden läßt und gleichzeitig auch eine unerschöpfliche Energie, die Tatendrang mit sich bringt. Die Fäuste lenken sich selbst und wollen handeln, können kaum still stehen und der Atem rennt mit dem Puls um die Wette, ein Rennen, bei dem man auf der Strecke bleibt und nichts mehr geht. Das leiseste, unscheinbarste Geräusch schwillt zur Unerträglichkeit an, das Universum arbeitet gegen deine Kontrolle, die Prüfung wird schwer, das Problem unlösbar. Jedes Denken wurde unterworfen, die Maus schafft die Katze, der gesamte Strom wird konzentriert auf einen Punkt, das Monster. Die Headline Spaltet sich, zweistimmig, die Gier nach Blut steigt, läßt die Eckzähne wachsen, die Pupillen weiten sich. Jeder wird zum Feind und alles zur Bedrohung, die Wahrheit zur Lüge und schwarz zu weiß, das Fraktal zum Chaos. Trotz vieler Menschen steht man einsam, alle haben dich im Stich gelassen, alles was bisher geschah verliert an Bedeutung, driftet in die Vergessenheit ab. Der Kiefer verkrampft sich und schickt einen Stich in die Schläfe, kurzes Blinzeln folgt als Reaktion, die Klarheit ist bereits schon lange weg, die gewünschte Erlösung kann nur von einem Opfer kommen, jemand, der noch nicht mal unmittelbar Auslöser war, der Grund ist nicht mehr eindeutig, soviel trägt zum selben Ergebnis bei. Nichts kann dich mehr hier halten, das Monster nimmt dich ein, es ist zu spät. Die gestaute Energie wird frei, das Schicksal nimmt seinen Lauf, das Gutes nimmt ein Ende und trifft den harten Asphalt des Bösen. Das dickflüssige, dunkle Rot fließt, wohin es nicht soll und seinen Zweck verliert, trocknet und vielleicht auch ins Erdreich sickert. Ein Blitz der sich entlud und und du findest dich im Auge des Orkans wieder, still ist es, so ungewohnt leise, nichts ist zu hören, doch nur der selbe Weg führt auch zurück.

Way of Life

Unklar wieviel Zeit verging ist der Weg schon so lang gewesen und noch immer kein Ende in Sicht. Der Sound aus den Boxen klingt genauso dreckig, wie die von Zigaretten und Alkohol zersetzte Stimme der einzigen Gesellschaf, die du hast. Du warst dir nie sicher, wie ihr zueinander standet, und doch war es eigentlich immer offensichtlich gewesen. Egal wie hart die Zeiten waren, egal wie tief die Wunden, die seine Worte hinterließen, er war stets der Einzige, der dir die Hand reichte, wenn du in einem Loch stecken geblieben warst. Die Sonne geht unter und taucht alles in einem warmen Orange. Die Stimmung ist so friedlich wie schwermütig, du bist zufrieden und dennoch fehlt dir alles. Du kannst keinen Ansatz finden, um dich zu erklären, um die Situation, deine Ängste, Hoffnungen und Aggressionen zu beschreiben, deren Hintergründe, Gründe, Definitionen. Und selbst wenn, hört man denn auch zu? Der Bass der Musik mischt sich mit den tiefen Brummen des Dieselmotors, das Knistern der schlechten Aufnahme mit dem Rascheln des Rollsplitts auf der Karosserie, dein Atem verliert sich im Nichts, obwohl er schwer ist. Und obwohl dir tausend Dinge eifallen, die du ändern möchtest, bist du zufrieden. Vielleicht sogar in einer seltsam melancholich-gedämpften Art glücklich. Das Panorama, das sich vor euch erstreckt, spiegelt passender Weise alles irgendwie wieder, vereinzelte Niederlassungen menschlicher Zivilisation, gezähmte Natur, schwindendes Ökosystem, du kennst es nicht anders, nur sagte vielleicht mal ein Lehrer, das du nie einen gesunden Wald zu Gesicht bekommen wirst. Du wünscht, du wärst in einer anderen Zeit auf die Welt gekommen, nur hätte es für sie nichts geändert. Du schaffst dein eigenes Leben nicht in Griff zu bekommen, wie dann die Welt? Manche wurden geboren, um alles zu verändern. Du nicht. Aber das macht nichts. Sollte es nicht. Redest du dir ein. Möglicherweise bist du für einen kleineren Zweck geschaffen worden. Du könntest das Leben eines anderen ein wenig verbessern. Dein Blick wandert kurz zur Seite zu der einzigen Gesellschaft, die du je hattest. Du siehst, wie sein Kiefer arbeitet, Streß, seine Hände verkrampfen sich, während er das Lenkrad umklammert, die Brauen eng gen einander geschoben, als verbessere es die Sicht auf die Straße. Das könnte es sein. Ohne dich wäre er nicht. Nicht mehr. Und da bist du zu recht sicher. Er sagte es einst selbst. Wenn er Worte in den Mund nahm, war er sich stets deren Bedeutung im Klaren, nie sagte er etwas anderes, als das was er meinte. Das lehrten dir die Erfahrungen, die du mit und durch ihm machen konntest. Er war nie ehrlich aus Treue zur Wahrheit gewesen, eher aus reinster Faulheit, den Kopf dazu zu benutzen, sich Lügen, Ausreden und Rechtfertigungen auszudenken. Reinste Energie- und Zeitverschwendung, meinte er. Problem war nur, dass die Menschheit nicht dazu augelegt ist, Kommunikation auf Basis realer Wahrheit zu führen. Kam er deswegen mit kaum jemanden aus? Rastete er deswegen so schnell aus? In irgendwelchen, mitlerweile nicht mehr existenten Unterlagen hattest du mal was lesen können... Daran erinnerst du dich nicht mehr. Das nächste Lied hat genau die Wellenlänge deiner Gehirnströme und den Rhythmus deines Herzens und entfacht eine unglaubliche Dynamik, mit einem Mal verspürst du die wertvolle schöpferische Energie der Kreativität, die jeden Augenblick auch schon wieder verpuffen kann. Immer geschiet sowas, wenn du keine Gelegenheit hast, dich ihr hinzugeben, ihr zu frönen, ihr gute Dienste zu Leisten, sie umzusetzen. Dann lehnst du dich weiter zurück in den Sitz, schließt die Augen, atmest tief durch und genießt die berauschende loslösende Wirkung, die sich entfaltet, genießt auch seine Anwesenheit, es tut gut wie es ist. Manchmal leidest du unter so schnellen Wechseln der Emotionen und doch ist es kein echter Wechsel, denn die neutrale Schwermut hockt noch immer in irgendeiner Ecke deines Bewußtseins, nein, eigentlich in deinem Herzen. Im Kopf haben Emotionen nichts zu suchen, dort haben sie keine Luft zum atmen, keinen Boden zum Wurzelschlagen, keinen Raum zur Entfaltung. Du packst ihm einen Kuß auf die Wange, während er seine Aufmerksamkeit so krampfhaft an den Asphalt kettet. Er spickt für einen Moment irritiert zu dir, zieht einen Mundwinkel leicht hoch und zeigt in einem entspannenden Lächeln Zähne, ehe er wieder den Blick auf die Straße richtet. Die Furche zwischen seinen Augenbrauen glättet sich, der Kiefer arbeitet nicht mehr, es geht ihm besser. Wohl hast du ihn aus unbequemen Gedanken gerissen. Auch dich erleichtert es. Du siehst selbst wieder nach vorne, siehst dem Horrizont entgegen und wenn du genau hinfühlst, spürst du, dass ihr gegen den Rest der Welt erfolgreich kämpft.

Feuerfänger

[Auszüge aus einem noch namenlosen Buchskript]



Langsam drehte und wendete er die Münze mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger beider Hände und betrachtete sie konzentriert, als hätte er etwas derartiges noch nie zuvor gesehen. Er erkundete jede Furche, die nicht zum Muster gehörte, jedes Zeichen der Zeit, das Objekte beim Altern erwarben und die stumm und unverständlich von Vergangenem erzählten. Als er sich hingesetzt hatte und die Münze von der Kette nahm, die er stets um seinen Hals trug, hatte er sie noch emotionslos und distanziert betrachtet, aber je mehr Momente vergingen, desto schwerer wurde das Herz, desto mehr Ereignisse grub das kleine runde Metall aus den tiefsten Winkeln seiner Erinnerung. Irgendwann schoben sich andere Bilder vor seinen Augen, nicht mehr die Münze war es, die er musterte, nicht mehr die Realität des Hier und Jetztes. Vielmehr waren es Bilder von zurückliegenden Ereignissen, schöne Bilder, glückliche Szenen liefen wie ein Stummfilm vor seinem inneren Auge ab, Geräusche kamen hinzu, Gelächter einer wundervollen, zarten und angenehmen Stimme, Farben, die nur dazu dienten, ihrer Schönheit gerecht zu werden, Gerüche, die ihn um den Verstand brachten, selbst die Erinnerung an die damals verspürten Emotionen keimten auf. Die Münze blieb abrupt stehen und forderte zusammen mit der Wirklichkeit die allumfassende Aufmerksamkeit zurück. Für einen guten Augenblick schien alles still zu stehen, dann musste er schwermütig seuftzen. Er konnte sich nicht der Vergangenheit widmen, aus der die Münze stammte, ohne gleichzeitig nicht auch daran denken zu müssen, wie die schöne Zeit ein jähes Ende fand. Und es schmerzte jedes Mal von neuem in derselben Intensität wie beim allerersten Male. Mit dem einzigen Unterschied, dass er gelernt hatte, damit umzugehen, was die Sache nicht unbedingt verbesserte. Er hatte sich geschworen, dass kein zweites Mal durchmachen zu müssen und vermied es seit dem, dass ihm noch jemals ein Mensch zu nahe kam. Emotional zu nahe.

Er ließ die Münze in seiner Hand verschwinden und ballte diese zur Faust, so fest, dass die Knöchel sich weiß hervorhoben. Dann hängte er sich die Münze wieder zurück an den Hals und ließ sie unter das Shirt verschwinden. Ein weiteres Mal musste er Seuftzen bevor er sich aufrappelte und das gelbe und schwache Licht der Schreibtischlampe löschte. Für kurze Zeit wurde es dunkel ehe ein fader Schein vom Flur zur offenen Zimmertüre herein sichtbar wurde.

Manchmal fragte er sich, wieso er sich mit der Zukunft herum schlug, warum er sich abstrampelte einen Weg zu finden, der am geschicktesten an den Menschen vorbei führte, oder sie so in sein Leben einband, dass sie nützlich aber entbehrlich blieben. Er musste nur acht geben, dass er sich nicht an sie gewöhnte, Gewohnheit brachte oft Zuneigung in den unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen mit sich. Und darin bestand ja wiederum die Gefahr. Einfacher wäre es doch einen Schlußstrich zu ziehen. Aber dazu fehlte ihn der Mut. Oder war es eher so, dass er Selbstmord als feige abtat? Tat er Selbstmord als feige ab, weil ihn der Mut zu einer konsequenten Handlung fehlte? Er wusste es selbst nicht und hatte es irgendwann aufgegeben, die Antwort herauszufinden.

Er trat in den Flur und ging nach rechts und betrat schließlich das Wohnzimmer, von dem aus das fahle Licht stammte. es wurde von milchigen Glassteinen, die von einer zur anderen Wand in einer geraden Linie parallel zu einem weiß lackierten Bücherregal angeordnet waren, gen Decke geworfen, beleuchteten so die Reihen an Bücher unterschiedlichster Arten, Formen und Größen und suchte von dort aus einen Weg in alle Himmelsrichtungen. Selbst die unzähligen Farben der Bücherrücken vermochten nicht mehr Leben in diese leblose kalte Szenerie zu bringen. Kalt war schon der falsche Ausdruck. Kühl und steril traf es eher. Der restliche Raum versprach nichts anderes. Schlichtes Design, Bauhausstil, weiß und helle Grautöne erinnerten mehr an ein Labor oder ein Büro als an ein Wohnzimmer. Es fand sich auch kein lebendiges Grün im Raum, dafür eine Glasfront, die den wildwuchernden Garten freizügig präsentierte. Nur fehlte die Sonne und die Nacht ließ das Grün in ein lichtverschluckendes Schwarz mutieren ließ. Die Schnallen seiner schweren Stiefel waren das Einzige, was man hören konnte. Er setzte sich auf die Couch, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht, atmete tief durch und griff zu einer Tablettendose auf dem Glastisch vor ihm, der nicht ein Mal die Spur eines Fingerabdrucks trug. So wie es klang enthielt die Dose nicht mehr viele Tabletten, eine davon ließ er sich auf die Handfläche fallen, drückte den Deckel der Dose mit dem Daumen zu und stellte sie vielleicht ein wenig zu energisch wieder an nahezu derselben Stelle ab, ehe er mit Schwung die kleine, runde Tablette im Mund verschwinden ließ und sie ohne Wasser schluckte. Danach löste er die Schnallen seiner Stiefel, öffnete den Reißverschluß und zog sie aus, ließ sie achtlos neben der Couch stehen und legte sich lang, die Arme hinter dem Kopf verschränkt starrte er die Decke an ohne sie zu sehen, ehe er sich auf die Seite legte mit dem Gesicht zur Rückenlehne gewandt und die Augen schloß

Kogan, Charaktere zu einem noch namenlosen Buchskript.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Irrwege eines Cholerikers

[Auszug aus einem noch namenlosen Buchskript]

Eigentlich ist es mir ja bewusst, wenn auch viel zu deutlich für meinen Geschmack. Es ist mir leidlich demnach viel zu deutlich bewusst, dass die Menschen einen übertrieben ausgeprägten Hang zur Dramatisierung, Schwarzmalerei, Verdummung, Idiotie und einer außerordentlich seltsamen Art von Kreativität an den Tag legen müssen, sonst würden sie wohl jämmerlich zu Grunde gehen. Und manchmal beneide ich sie um diese Kreativität, die so rein gar nichts mit Kunst oder dergleichen Produktives zu tun hat, sondern einfach nur damit, sich immer und immer wieder neue und sehr verzwickte Problemsituationen zu schaffen, wenn man denn sonst nichts zu tun findet. Ist zwar an sich nichts Gutes, aber immer noch besser als Langeweile. Und die Menschen leiden wohl recht oft an dem selben Übel, oder müssen unglaublich viel Zeit vom Tage über haben. Denn sie tuen oft kreativ sein. Naja, aber ich kann es wenigstens nachvollziehen, wieso man um jeden Preis dem Monster namens Langeweile entkommen will. Ich drehe stets am Rad, hin und wieder auch mal durch, wenn ich keine gute Beschäftigung finde. Naja, und ich will vermeiden, nochmal durchzudrehen, denn dann legt sich ein defekter Schalter um und es eskaliert. Das Schlimme ist, dass ich trotz aller Raserei noch immer sehe und verstehe was ich tue, doch denken ist dann nicht mehr möglich. So kommt es, dass ich bereits unzählige Taten begangen habe, auf die ich nie stolz sein kann. Und durch die ich auch leide, beinahe so, wie ein frommer Mensch unter einer Todsünde. Vielleicht sogar so, wie ein frommer Mensch an der schlimmsten der Todsünden leidet, beging er sie mal. Aber zeigt sich da nicht diese Dramatisierung, die ich so bei den Anderen hasse? Vielleicht gehe ich in der Sache zu streng mit mir um, vielleicht aber auch viel zu nachsichtig. Eher Letzteres würde ich behaupten, denn man darf, wenn man gern sich über die Defizite anderer aufregt oder gar lustig macht, nicht mit sich selbst schludern. Jemand, den ich einst für klug hielt, sagte mal, dass man gegen Gefühle nichts machen kann. Ich sehe das anders, auch wenn ich da eigentlich ein sehr gutes Beispiel zur Bestärkung seiner These anführen kann mit meiner großen Schwäche der Raserei. Aber ich untermauere das nur mit einem Argument, dem Argument, dass man dann an sich zu arbeiten hat, weil man noch nicht das Ziel erreicht hat, das Ziel zur Ausmerzung eben solcher Schwächen. Manchmal erwische ich mich dabei, wie ich diese Ausfälle in die Raserei damit zu begründen suche, dass die Dummheit anderer eben nunmal schmerzt, aber.. Ausreden zählen nicht, Sündenböcke haben keine Daseinsberechtigung. Es gilt allein nur, was im eschatologischen Waschzettel steht, Sheldon B. Kopp schrieb das Buch „Triffst du Buddha unterwegs..." und auf den letzten Seiten findet man ihn. Klinge ich frustriert? Ach was frag ich, mich interessiert die Antwort doch ohnehin nicht. Ja, ich klinge sicherlich arrogant und voreingenommen, aber gegen manch als negativ verschriehene Eigenschaft habe ich nichts. Manchmal muss man Rückgrat beweisen und sich eigene Regeln schaffen. Darin bin ich ungeschlagener Meister. Trotzdem ich ein ausgesprochener Fan der Logik und des Realismus bin, müssen die selbst erschaffenen Regeln keineswegs irgendeinem nachvollziehbaren Muster folgen. Hatten Regeln doch meist sowieso nie in der Geschichte der Menschheit und mir reicht mein Wissen, dass ich bei Bedarf durchaus der Logik und des Realismus mächtig bin. Es legitimiert vielleicht nicht, aber ich bin es leid, mich ständig zu rechtfertigen. Wem hat denn je eine Erklärung meinerseits interessiert? Mich wundert es zumindest nicht, dass das nie jemandem gejuckt hat, handhabe ich doch selbst mit anderen nicht anders. Da Sündenböcke keine Daseinsberechtigung haben und Entschuldigungen hinfällig sind... wozu dann nachfragen?

So, nun wird es mir mal wieder deutlicher bewusst, wie blöde doch der Mensch von Natur aus ist. Nein, das ist nicht garstig, das ist realistisch. Ich könnte nun einen gemütlichen Abend zu Hause verbringen oder im Labor.. aber das ist mir vergönnt. Stattdessen sitze ich in einer dreckigen und stinkenden Kanalisation fest. Und im Grunde ärgere ich mich nur über mich selbst, da ich nicht alles selbst gemacht habe. Das hätte natürlich mehr Zeit in Anspruch genommen, Pläne heraussuchen, welche schmieden.. So kann es gehen, wenn man sich auf andere verlässt. Selber Schuld. Meine Stiefel sind bereits ganz durchgeweicht, weil das Ausweichen auf trockene Landmassen hier unten nicht immer Möglich ist. Irgendjemand wird dafür noch leiden müssen, mein gutes Schuhwerk... Trotzdem ich seit mindestens 24 Stunden schon auf den Beinen bin, merke ich durch den Groll nicht den Ansatz von Müdigkeit, aber dafür jede Menge Übelkeit aufsteigen und tatsächlich sind die Hauptursachen gar nicht die Fäkalien, die an mir vorbeischwimmen oder die sich kaum bewegende Luft hier unten, sondern eben wieder dieser Groll. Meine Nase beginnt mal wieder zu laufen oder vielleicht tut sie es schon länger und ich realisierte es nur nicht. Dieser hässliche Vasomotorischer Schnupfen. Ich wünschte, ich hätte wenigstens Musik bei mir. Aber wer hätte gedacht, dass ich Zeit für so etwas haben werde? Nicht mal Gesellschaft läuft mir bei Fuß, aber die Sorte Gesellschaft, die ich mir wünschte, ist unwahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto. Wohl stelle ich zu hohe Ansprüche oder bin eben doch viel zu verkappt. Das kann man nur sagen, wenn man das mit etwas anderem vergleicht, dazu ist das Maß aller Dinge nötig und in solchen Belangen existiert es noch nicht. Vielleicht sollte ich mich dafür zur Verfügung stellen! OK, zugegeben, das war astrein arrogant gerade eben, aber ist doch wahr! Ohnehin bekommen alle Dinge nur dann einen positiven oder negativen Anstrich, wenn man sie mit den Maßstäben anderer vergleicht, und das ist wieder rum hinfällig. Allerdings gibt es durchaus Positives und Negatives, dass sich jedem Vergleich entzieht, es selbst hinfällig werden lassen, wie Sex und Fäkalien. Bitte Reihenfolge beachten! Wer auch immer entdeckte, dass Männer immer nur an das eine denken, war eindeutig ein Genie! Wieso kam mir der Gedanke nur nie selbst, ich, der ich in der Kanalisation mit fäkalischer Gesellschaft eben auf grade einen Vergleich mit Sex kam. Wunderbar!

Was das für ein abartiges Geräusch doch ist, sobald der Untergrund schlammiger wird. Nun war der Hauptgrund meiner Übelkeit doch die örtliche Lage meiner ... ich muss kotzen und tue es hiermit auch.

Ach du treuer Weggefährte Schmerz

[Auszug aus einem noch namenlosen Buchskript]


Die Dunkelheit wich dem schwachem Licht, welches durch seine geschlossenen Lider drang, und die mit der Ohnmacht einhergehende Gefühllösigkeit des Körpers der feuchten Kälte des Regens, die ihn zwangsläufig zum Zittern brachte. Der Schmerz fuhr ihm augenblicklich durch jede seiner Zellen und raubte ihm fast wieder die noch so labile Geistesanwesenheit. Seine Lungen brannten und verlangten nach einem tiefen Atemzug frischer Luft, doch seine Rippen mochten dieses Spiel nicht leiden und weigerten sich schlichtweg dagegen. Sie ließen nur ein leichtes, flaches Atmen zu. Die noch so flüchtige Konsistenz seines Verstandes ermöglichte kein Begreifen der Situation und erst recht keine Analyse des Herganges. Der pochende Druck im Inneren seines Schädels unterdrückte das endgültige Manifestieren seines Bewußtseins und zwang ihn weiterhin reglos im Dreck und sich am Boden sammelnden Regens liegen zu bleiben. Ein plötzlicher, heftiger Hustanfall, verursacht durch Blut in seinen Atemwegen, quälte ihn noch unsäglich lange Minuten. Er hatte die Wahl, endgültig wieder wegtreten und dabei Gefahr laufen, nie wieder wach zu werden, oder aber er sammelte die letzten Reste seines verbliebenden und zum Teil noch schlafenden Ichs zusammen, um sich irgendwann selbst vom Asphalt zu kratzen, denn langsam wurde ihm klar, dass es keiner für ihn würde übernehmen können. Wie immer in solchen Zeiten. Die vielen derartigen Foltereien hatten ihn abstumpfen, den Schmerz zu einen guten und zuverlässigen Weggefährten werden lassen. Nur war er davon überzeugt, daß sein Kumpane nie so allgegenwärtig präsent gewesen war, zwar hatte er das schon des öfteren gedacht, aber es gibt stets einen Moment, der alle bisherigen toppen würde.

Allmälich holte ihn die Realität vollends ein, erzählte ihm vom Hergang, teilte ihm die Umstände und seine derzeitige Lage mit. Er stöhnte im Versuch sich etwas Erlösung durch einen erneuten tiefen Atemzug zu verschaffen. Es mißlang. Langsam und widerstrebend nur öffnete er die Augen, petzte sie sofort wieder fest zusammen, das Gesicht verzog sich dabei wie von selbst zu einer Grimasse, da der Regen ihm das Blut einer klaffenden Platzwunde in die Augen trieb, die fürchterlich zu brennen begannen.

Er war das Ganze schon so leid. Egal was unternommen wurde, egal wie sehr man sich anstrengte, egal mit wem man sich verbündete, das Ergebnis war stets gleich niederschmetternd. Schon des öfteren sah er sich seinem Ziel schon so nahe und musste sich dann frustriert der Niederlage stellen. Durchhalten wurde schwierig. Das Leben war schwierig. Er besaß weder Nerven noch die Lust darauf. Wäre er alleine gewesen, hätte er wahrscheinlich sich schon längst vor lauter Überdruß das Leben auf irgendeine unspektakuläre Weise schon vor langer Zeit genommen. Aber er war ja nicht alleine, viele Menschen waren von ihm abhängig. Nicht alleine.

Dann widerfuhr es ihm wie ein Blitz. Gedanken der Erkenntnis schossen ihm durch den Kopf, die potentielle Gefahr, die der Kleinen Truppe drohte gab ihm Kraft, beziehungsweise den nötigen Willen sich aufzurappeln, jetzt ging es nicht mehr nur um ihn. Es ging im Grunde nie wirklich um ihn. Er merkte nicht, wie er vor Schmerzen ächzte, wie sich der ohnehin schon übermäßig rot gefärbte Asphalt sich von Neuem mit nichts anderem als seinem Blut verfärbte. Es rann ihm über das Gesicht, tropfte vom Kinn und Fingerspitzen. Der zerschmetterte rechte Arm bescherte ihm noch einige erfolglose Aufstehversuche ehe er endlich mehr oder minder stand. Er hob den Kopf gen Himmel, wollte dem Schmerz durch Brüllen Luft machen, verzog nur das Gesicht stattdessen, ließ den Regen das Blut aus den Augen waschen.

Die Ohnmacht nagte erneut an seinem Geist, erschwerte das Denken und vor allem das Überleben. Am liebsten hätte er ihr nachgegeben, sich einfach zum Sterben wieder auf die Straße gelegt, auf seinen ersehnten Erlöser, dem Tod gewartet. Er hätte es womöglich auch getan. [...]

Die Ungewissheit mutierte zum ebenbürtigen Gegner der Ohnmacht. Sein künstliches Bein funktionierte nicht mehr so wie es sollte, es machte das Gehen nahezu unmöglich, es gehorchte ihm nur sehr eingeschränkt. Er mußte sich beeilen, wenn er es noch schaffen wollte. Er mußte es schaffen. [...] Eine Mauer entlang der Straße, er war sich nicht sicher wo er sich befand, jedenfalls nicht mehr dort, wo er das Bewußtsein verlor, mußte ihm als Stütze dienen. Das Metall seines Beines scheuerte am Boden und entließ so ein jammern, das sich zum wimmern des Windes gelellte.

Er musste wieder husten, sich beugen und Blut erbrechen. Es stammte aus seiner Lunge und trat nicht nur auf diesem Wege zu Tage. Er frohr.

Nocheinmal folgte er dem Gedankengang von eben, [...] Er zwang sich zu einem weiteren quälenden Schritt, hob nebenbei seinen rechten Arm, der bei Weitem nicht mehr wie einer aussah. Der Anblick zwang ihn erneut zum Würgen, doch konnte er es gerade noch so unterdrücken. Nele... Wo war sie wohl jetzt? Er würde sie an einen besseren Ort bringen, sobald er sie fand. Er ging mehrere Orte in Gedanken durch, und dann ihre letzten Schritte, um nachvollziehen zu können, wo sie sich befinden konnte. Das Grübeln ließ ihn für einen Moment die Schmerzen vergessen, bis ihm ihr allerletzter Schritt einfiel. Sie war tot! Wie konnte er das vergessen? [...] Die Übelkeit nahm sich ihren Begleiter, das Schwindelgefühl zur Hilfe und brachte ihn damit zu Fall, er würgte und erbrach erneut Blut, dann wurde es wieder schwarz um ihn.

Lüge

[Auszug aus einem noch namenlosen Buchskript]

In manchen Fällen spielt es keine Rolle, ob man jemanden der Lüge bezichtigt während man selbst nicht reinen Gewissens ist. Manchmal spielt die Moral einer Geschichte keine Rolle. Denn ab und an gehört das zum Überleben. Die Lüge war inzwischen zu einem festen Bestandteil meines Alltages geworden und ohne es wirklich wahrzunehmen hatte ich inzwischen schon jeden darin mit einbezogen. Mehr in Form von Verschweigen als aktiver Lüge. Wenn man aber den eigenen Leuten vorgaukelt, man hatte sich nie etwas Böses bei dem gedacht, womit man sein täglich Brot verdiente, man es zwar nie direkt ausformulierte, oder sogar nie auch nur ein einziges Wort darüber verlor, und die Ergebnisse des Handelns mehr Leid und Tod verursachte als so mancher amerikanischer Soldat, so ist es immer noch Lüge. Ich war sich dessen nie bewusst gewesen, womöglich aus eigener Verdrängung heraus, allerdings wurde ich dadurch nicht zu einem besseren Menschen. Wenn ich jemals darüber nachgedacht hätte, wäre ich zu einem ungemütlichen Schluss gekommen, hätte feststellen müssen, wie sehr ich mich von dem Mann unterschied, den ich vorgab zu sein. Einige meiner Taten konnten als gut bezeichnet werden, vielleicht reichte die Zahl sogar für ein viel aus. Aber das Entscheidende waren nicht die Taten, sondern die Beweggründe, weshalb sie begangen wurden, und eine davon trug ich als Namen. Rache. Ein Wort, das scheinbar nicht zu mir passte und wohl doch wie die Faust aufs Auge.


Die unzähligen Monitore unterschiedlichster Größe, Ausrichtung und Bestimmung gaben den relativ kleinen Raum genug Licht ab, um unabhängig von anderen Leuchtmitteln zu existieren. Lüfter über den beiden Zugängen klapperten und verkündeten somit ihr Alter, ersetzten Musik und verscheuchten das Summen und Klingeln in meinen Ohren. Jeder der Bildschirme zeigte mir einen anderen Ausschnitt meines Reiches, meines Reviers. Im Grunde war es ein sicherer Ort. Aber die Sperrzone, ganz gleich, wie sehr sie gemieden wurde, so sehr zog sie auch die kuriosesten Gestalten an, die meistens ein und die selben Eigenschaften untereinander teilten. Sie waren die Unberechenbarsten. Das Einzige, was die Zahl der Monitore noch übertraf, war die der vielen Memos, die an ihnen klebten, und die Stummel in den zwei Aschenbechern.